Getränken im Freien eine richtige Plage sein: Wespen. Die meisten Menschen versuchen aus Angst vor einem schmerzhaften Stich, die Insekten zu vertreiben, oder sie treten gar selbst die Flucht an. Für Menschen mit einer Insektengift-Allergie können Wespen oder auch Bienen richtig gefährlich werden. Sie reagieren nach einem Stich nicht nur mit einer Schwellung und Rötung der Einstichstelle, sondern können lebensgefährliche Symptome erleiden, die den ganzen Organismus betreffen. Die Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), der Ärzteverband Deutscher Allergologen (ÄDA) und die Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA) raten dringend zu einer spezifischen Immuntherapie (Hyposensibilisierung) bei einem auf Allergien spezialisierten Arzt.

Millionen Menschen sind Insektengift-Allergiker
In Deutschland sind etwa drei Prozent der erwachsenen Bevölkerung, also 2,5 Millionen Menschen, von einer Allergie auf das Gift von Wespen oder Bienen betroffen. „Auch Kinder reagieren auf Insektengift allergisch – sie sind allerdings seltener betroffen als Erwachsene“, sagt der Kinderarzt und GPA-Vorsitzende Professor Carl Peter Bauer aus Gaißach.
Insektengift-Allergiker können nach dem Stich einer Biene oder Wespe bereits innerhalb kürzester Zeit mit Hauterscheinungen wie Nesselsucht, Hautrötung und Hitzegefühl, mit Blutdruckabfall, Herzrasen und Schwächegefühl, oder sogar mit Atemnot bis hin zu Bewusstlosigkeit reagieren. Im schlimmsten Fall kommt es durch die Insektengift-Allergie zu einem tödlichen Allergieschock oder Atemversagen. Professor Bauer: „Auf jeden Fall sollte beim Eintreten erster Symptome, die nicht auf die Einstichstelle begrenzt sind, ein Notarzt gerufen werden. Bei Kindern sind Todesfälle durch eine Insektengift-Allergie sehr selten, dennoch sind die Symptome sehr ernst zu nehmen. Es muss rasch reagiert werden.“ Auch wenn zunächst bei einer Allgemeinreaktion ein schwerer Schock ausbleibt, sollten die Patienten noch bis zum nächsten Tag beobachtet werden und unbedingt einen Facharzt mit allergologischer Zusatzausbildung aufsuchen.

Nicht einmal jeder Zehnte nutzt heilende Therapie
Die Ursache der Insektengift-Allergie sind bestimmte Abwehrkörper (Immunglobulin E, IgE-Antikörper) im Blut der Erkrankten. Sie reagieren mit Molekülen (Allergenen) des Insektengiftes. Bei einem einzigen Wespenstich gelangen etwa 5.000 Milliarden Moleküle des Hauptallergens in den Organismus. Wenn diese an die spezifischen IgE-Antikörper binden, setzen bestimmte Immunzellen (Mastzellen) Botenstoffe frei, die innerhalb von Sekunden bis Minuten die gefürchteten Symptome auslösen. Eine Insektengift-Allergie kann fast immer geheilt werden. Dazu erhalten die Patienten über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren Insektengiftallergene in den Oberarm injiziert. Anfangs erfolgen die Injektionen zur Dosissteigerung in kurzen Abständen, bis bereits eine gewisse Menge des Allergens gut vertragen wird. Anschließend wird drei bis fünf Jahre lang alle vier bis sechs Wochen eine Erhaltungsdosis verabreicht. So wird das Immunsystem langfristig weniger empfindlich gemacht – hyposensibilisiert. Auch Kinder können mit einer spezifischen Immuntherapie behandelt werden. Kinder können in der Regel ab dem sechsten Lebensjahr in Einzelfällen auch frühehyposensibilisiert werden“, versichert der Kinderarzt und Allergologe Professor Bauer. „Diese Methode schützt in nahezu allen Fällen vor der gefährlichen Sofortreaktion des Körpers. Die Erfolgsquote liegt bei fast 100 Prozent.“
„Da nahezu jeder Patient mit Insektengift-Allergie durch eine korrekt ausgeführte spezifische Immuntherapie sicher geschützt werden kann, ist es unbegreiflich, dass derzeitig weniger als zehn Prozent der Insektengift-Allergiker hyposensibilisiert werden“, bedauert Professor Bernhard Przybilla von der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Angesichts der fast 100-prozentigen Wirksamkeit bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung ist das ein katastrophaler Prozentsatz!“
Bis der Erfolg der Immuntherapie eingetreten ist, sollten Insektengift-Allergiker zudem Medikamente zur schnellen Selbstbehandlung für den Notfall bei sich tragen. Die Notfallapotheke besteht aus einem Adrenalin-Autoinjektoren, einem oralen Kortisonpräparat und einem Antihistaminikum.

Mastozytose-Patienten besonders gefährdet
Bei einigen Menschen sind die Mastzellen krankhaft vermehrt. Diese Erkrankung wird als Mastozytose bezeichnet. Bei den Betroffenen ist das Enzym Tryptase vermehrt im Blut zu finden und es können bräunliche Flecken auf der Haut auftreten, die Muttermalen ähneln.
„Etwa zehn Prozent der Patienten mit einer Bienen- oder Wespengift-Allergie haben einen erhöhten Tryptasewert und bei etwa 2,5 Prozent diagnostizieren wir eindeutig eine Mastozytose", berichtet Privatdozentin Dr. Franziska Ruëff von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Die Vermehrung von Allergie-Zellen im Körper hat bei Insektengift-allergischen Patienten äußerst schwere Reaktionen zur Folge: Mehr als 80 Prozent von ihnen erleiden einen Schock oder eine nahezu tödliche Reaktion, während dies bei Patienten ohne Mastozytose nur bei weniger als 20 Prozent der Fall ist."

Spezifische Immuntherapie praktisch immer erfolgreich
Wegen der besonderen Bedrohung sollten Patienten mit Mastozytose und einer Insektengift-Allergie unbedingt hyposensibilisiert werden. Die Behandlung hilft praktisch immer. Ungefähr jeder fünfte Patient benötigt jedoch eine erhöhte Allergendosis. „Der Behandlungserfolg sollte durch einen Stichprovokationstest mit einem lebenden Insekt in Anwesenheit eines Notfallmediziners überprüft werden“, sagt der Allergologe Professor Przybilla. Bei Mastozytose-Patienten mit einer Insektengift-Allergie ist eine lebenslange Immuntherapie erforderlich.
„Viele tragische Todesfälle durch Bienen- oder Wespenstiche könnten vermieden werden, wenn rechtzeitig eine spezifische Immuntherapie begonnen würde", erklärt Professor Przybilla. „Besonders wichtig ist diese Behandlung für Patienten mit erhöhtem Tryptasewert im Blut oder mit Mastozytose. Die Besonderheiten ihrer Therapie wurden in einer Leitlinie der DGAKI detailliert dargestellt."

Vorbeugen hilft Notfälle verhindern
Die Allergologen raten auch zu vorbeugendem Verhalten. Einfache Maßnahmen können die Gefahr eines Insektenstichs verringern:
- Süße Speisen und Getränke nicht im Freien verzehren. Nach dem Essen Hände waschen und Mund abwischen.
- Stark duftende Körperpflegemittel (unter anderem in Parfüms und Cremes) möglichst meiden.
- Den Körper bedeckt halten und nicht barfuß laufen. Ungünstig sind lose sitzende, leichte Bekleidungsstücke und dunkle Farben, zu bevorzugen sind helle Farben. Kein offenes Schuhwerk.
- Bienen- oder Wespennester und deren Einzugsbereich meiden. In Anwesenheit von Bienen und Wespen auf jeden Fall Ruhe bewahren und rasche Bewegungen vermeiden.
- Die Nähe von Abfallkörben oder Fallobst meiden.

Quelle:
Przybilla B, Ruëff F, Fuchs T, Pfeiffer C, Rakoski J, Stolz W, Vieluf D: Insektengiftallergie: Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI); Allergo J 2004, 13:186-190
Przybilla B, Müller U, Jarisch R, Ruëff F: Erhöhte basale Serumtryptasekonzentration oder Mastozytose als Risikofaktor der Hymenopterengiftallergie: Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI). Allergo J 2004;13:440-442